Aus gegebenem Anlass fasse ich mal ein paar Gedanken von mir zu einem Blogeintrag zusammen. Mit weniger Satzzeichen und viel mehr Ausrufezeichen hatte ich ähnliches schon über Twitter gepostet. Hier die lesbarere Fassung:
Übernehmt bitte nicht die Vokabel „Herkunftsdeutsche“.
So lang BPoC (= Menschen, die nicht weiß sind) nicht als deutsch akzeptiert werden, stützt „herkunftsdeutsch“ das rassistische Narrativ. Genauso wie auch das Unwort „Migrationshintergrund“, das komischerweise nie auf weiße Schwed_innen und Amis angewendet wird. Überhaupt haben Weiße in erster Linie dann plötzlich einen Migrationshintergrund, wenn es darum geht, sich auf Stellen in Antidiskriminierungsbüros zu bewerben, oder PoC ihre Erfahrungen abzusprechen („Ich hab auuuch Migrationshintergrund, mein Papa ist Schweizer, ich kann das beurteilen“), aber das soll ein anderes Thema sein.
Die Vokabel „Herkunftsdeutsche“ legitimiert außerdem die Un-Frage (weil keine Frage sondern freche Platzzuweisungs- Performance) „Und wo kommst du [wirklich/ursprünglich] heeeeer™??¿“, die Weiße immer BPoC aber nicht Sarrazin und De Maizière stellen.
„Herkunftsdeutsche“: Für viele Deutsche ist es anscheinend enorm wichtig für die eigene Identität, dass ihre ganzen Vorfahren zufällig im Bundesgebiet gepoppt haben seinerzeit. Daraus sich dann einen höheren Status herzuleiten (= alle anderen misstrauisch Beäugen, beurteilen und für rückschrittlich halten), ist… nun ja, die Definition von Supremacy.
(Woraufhin @hermanstadt auf Twitter zu recht antwortete: „Der Witz bei der Sache ist ja, dass viele dieser Großeltern gar nicht im Bundesgebiet gepoppt haben, sondern in Ostpreußen, Schlesien, Böhmen oder sonstwo.“ )
„Aber ich mag den Begriff BPoC nicht“, antworteten Leute.
Unterscheidung:
- Fall A) Als Selbstbezeichnung ist er zu respektieren. Weil Selbstbezeichnungen von diskriminierten Minderheiten, sofern diese Bezeichnungen Leute nicht strukturell herabsetzen, zu akzeptieren sind.
- Fall B) wenn „BPoC“ oder „PoC“ nicht als Selbstbezeichnung verwendet wird:
Englische Begriffe nicht mögen schön und gut, das soll aber kein Grund sein, problematische deutsche Label zu verwenden, die etwas ganz anderes bedeuten und im Wortgebrauch stigmatisierend sind. Es hat auch kein Mensch verlangt, dass alle den Begriff „PoC“ akzeptieren/verwenden sollen. Dass es im Moment noch keine ordentlichen deutschen Begrifflichkeiten gibt, liegt doch in der Sache selbst begründet: Weil Deutschland würdevolle kollektive selbstbestimmte Narrative of Color so unendlich lange verhinderte, gibt es viele halt nur mit Bezug auf außerhalb.
„Migrationshintergrund“
„Person mit sichtbarem Migrationshintergrund“ war dann der aller-albernste Bezeichnungsversuch der Woche. Kein Mensch kann sehen, wessen Großeltern nicht deutsch waren. „Migrationshintergrund“ fällt in dieselbe Kategorie wie alle anderen othering-Wörter (das sind Wörter, die „andern“ also, Menschen zu „anderen“ machen).
„Person mit sichtbarem Migrationshintergrund“ ist Begriffsgebastel von Nasen, die sich einfach nicht wahrhaben wollen (/verkraften können), dass Deutschsein noch nie automatisch Weißsein war. Die Wortschöpfung ist im gleichen Club wie das verschlagene „herkunftsdeutsch“, das sehr rassistische „biodeutsch“, das peinlich bemühte und genauso rassistische „autochtone Deutsche“, und viele weitere derartige Wortschöpfungen, deren Ziel es ist, Menschen als nicht integral, nicht ganz zugehörig zu markieren.
Sogar die Zeitschrift MiGAZIN schreibt, dass viele „Migranten“ sich wie Özil fühlen würden. Dass auch die Nichtmigrierten dauernd als „Migrant_innen“ bezeichnet (= gedanklich ausgelagert aus dem eigenen Land) werden, IST dabei DOCH GERADE DAS PROBLEM, das Özil selber in seinem Text ausführlichst erklärt!
Wir waren schonmal differenzierter. Lasst euch nicht die ganze Zeit deutsche Rassereinheitspantasien in eure eigenen Sprechweisen reinmogeln!
Die gängige Ungleichbehandlung: weiß = „deutsch“, Nichtweiß = „irgendwie zu erklären inwiefern nicht ganz deutsch“ ist rassistisch. Und weil sie so normalisiert ist, ist es umso wichtiger, dabei nicht mitzuspielen.
Unzählige Schwarze Deutsche beispielsweise sind „autochton“, „biodeutsch“ und „ohne Migrationshintergrund“, aber werden fälschlich als migrantisch, Mimimis, etc. bezeichnet. Zur Präzisierung: Das ist alles nicht deswegen wichtig, weil es besonders viel bedeuten würde, von Anna-Lena und Joachim gemocht oder „akzeptiert“ zu werden, sondern weil institutionelle(!) und gesamtgesellschaftliche Ungleichbehandlung & Gefahren daraus erwachsen. U.a. die Nichtverfolgung und Nichtbestrafung von Morden an BPoC. Diese gedankliche Auslagerung von BPoC aus der Gruppe der Deutschen nennt sich: MIGRANTISIEREN.
Was vielen bei der Debatte entgeht, ist, dass das ganze Konzept „Migrationshintergrund“ rassistisch ist – also nicht nur, wen es (random) bezeichnet und nicht bezeichnet, sondern auch, was für eine wahllose Kategorie das überhaupt ist! Wenn für eine Person(enbeschreibung) ausschlaggebend sein soll, was die Großeltern gemacht haben, ist das doch absurd.
Der #Großelternhintergrund wird dabei einseitig -weil nur bei BPoC- zum Merkmal konstruiert. Wenn es Gang und Gäbe wäre, wildfremde weiße Deutsche bei jeder Gelegenheit auf ihren Großelternhintergrund hin abzufragen („war deine Oma zufällig Nazi?“), könnten sich alle Deutschen über 40 mit weißdeutschen Großeltern mal ganz warm anziehen.
Die Aufgabe der Vokabeln „herkunftsdeutsch“ und „Migrationshintergrund“ ist es, „wo kommst du ursprünglich heeeer?? (du bist nicht so deutsch wie wir, nicht *richtig* deutsch)“ institutionalisiert zu formulieren. Zu normalisieren. Ungleichbehandlung und Deutschsein zweiter Klasse zu verankern. Weil sie in ihrer Pauschalität gefährlich sind, spalten, abstufen und zündeln mit „fremd“ und „von hier“, was wiederum anschließt an Territorium, Rechte und Macht. Was wir täglich zu spüren bekommen. Ja, Leonie, Sprache, Gedanken, Empfinden, die gesellschaftliche Ordnung und Politik hängen zusammen.
Schon allein die Tatsache, wie das Wort „Migrationshintergrund“ allenorts ganz selbstverständlich als defizitär, stigmatisierend, für Anforerungen und Bringschuld verwendet wird, sollte doch klar machen, dass mit dem Konzept etwas nicht stimmt.
Mit pauschalen Gruppenbezeichnungen kann erreicht werden, Vokabular über Diskriminierung zu entwickeln, z.B. darüber, wer als „fremd“ markiert wird („PoC“) und wer die Vorteile erlebt, grundsätzlich als selbstverständlich zugehörig wahrgenommen zu werden (Weiße)*. Das geht aber auch ohne Wörter, die subtil oder unsubtil ausgrenzen.
*Nicht-BPoC: Erspart mir bitte biografische "aber ich, aber ich"-Kommentare, beachtet die Vokabel "grundsätzlich" und versteht den Unterschied zwischen persönlich und strukturell.
Bitte DENKT DAHER MEHR MIT, was Sprache , insbesonders politische, insbesonders diskriminierte Minderheiten markierende Sprache, kann und tut, und verwendet Mainstreambegriffe nicht einfach so, ohne ausgiebigen gedanklichen Gegencheck. Vor allem Personen, die sich Journalismus oder Sprachforschung oder Erziehung usw. verschrieben haben: durchschaut das!