Nano- was bitte?
NaNoWriMo nennt sich der US-amerikanische „National Novel Writing Month“, zu deutsch: „nationaler Romanschreibemonat“. Davon erfahren habe ich zum ersten mal im letzten Jahr. Ich war von dem „national“ schon so abgeturnt, dass ich kein weiteres Interesse daran aufbringen konnte. Vor ein paar Wochen landete ich dann noch einmal über Umwege auf einer Homepage, die sich damit beschäftigte, und habe es mir diesmal genauer angesehen – aus gutem Grund: Ich habe nämlich vor, eine neue Erzählung zu schreiben, und finde es schon schwer, für dieses Vorhaben überhaupt erst einmal einen ernstzunehmenden Zeitplan hinzubekommen.
Je mehr ich dann also im zweiten Anlauf doch noch über den NaNoWriMo las, desto mehr lust hatte ich, das zu machen, allerdings außerhalb von deren Forumplattform. Wenn die Idee und das System grundsätzlich als Inspiration dienen können, warum nicht? Ganz pragmatisch habe ich daher kurzerhand entschieden, den November als Schreibemonat zu adoptieren und die Informationen der Seite zu nutzen. Die Langfassung des Namens muss ich aber umbenennen, damit ich das Ganze ohne schlechte Laune betreiben kann.
NaNoWriMo heißt bei mir daher im folgenden: No-Alibi! Novel Writing Month. („Kein Alibi! Romanschreibemonat“)
November als Schreibemonat – Wie geht das und was soll das bringen?
Am NaNoWriMo teilzunehmen, bedeutet, ein Buch in einem Monat zu schreiben. Und zwar im November.
Warum das nicht zu 100% absurd ist, sogar machbar und sinnvoll sein kann, im Kurzüberblick:
Wenn viele es gleichzeitig machen, entsteht ein gewisser unterstützerischer Gruppen-Schwung. Erfahrene Autor_innen und welche, die gerade anfangen, tauschen sich online aus, Gleichgesinnte geben sich in Echtzeit Tipps zum Durchstehen, wer es mag, findet oder gründet Gruppen, die sich on- oder offline treffen, manche Cafés geben tippenden Menschen Rabatte auf Kuchen, und für die Teilnehmenden gibt es Prozente auf Schreibsoftware ^^. Wenn eine twittert „22 Uhr und erst 10 Wörter geschrieben, argh! #NaNoWriMo“, kann sie davon ausgehen, dass Menschen, denen es in diesem Moment genauso geht, ihr Mut zutwittern können.
Das ist im Rest des Jahres alles auch der Fall, aber viel weniger gebündelt, weil auch Schreibende ja dann doch mehr ihrem üblichen Lebensstil verhaftet sind und nicht gleichzeitig dieselbe waghalsige Wette am laufen Priorität haben.
Für mich bedeutet die Aussicht auf einen NaNoWriMo eine greifbare, überschaubare Möglichkeit, mit einem Romanvorhaben, das seit gefühlten 27 Jahren vor sich hingeschoben wird, endlich in die Puschen zu kommen. Stichworte: Verbindlichkeit, das eigene erzählerische Schaffen ernst genug nehmen, selbsterzeugter Gruppenzwang.
Sich eine definierte Zeit zu bestimmen, komme was wolle das Schreiben als Priorität (oder zumindest Freizeit-Priorität) zu behandeln, kann realistischer zu einem Resultat führen, als es weitere 27 Jahre lang „irgendwann echt mal machen“ zu wollen. Wann und wie ist die Gelegenheit besser als in dem Monat, in dem zigtausende andere es auch machen und ihre Erfahrungen und Tipps miteinander teilen? Nach dem Lottogewinn? Während der Rente?
Ich erlebe schon dadurch Bestärkung, dass den NaNoWriMo viele Menschen machen, die Job, Familie, Einschränkungen und Verpflichtungen zugleich haben. Das zerbröselt einfach alle meine Ausreden.
Und es erleichtert mich, dass das Ziel in diesem Monat ist, den ERSTEN HOLPRIGEN ENTWURF eines Romans zu schreiben, nicht aber das fertige Buch.
Peinlichkeit als Chance
Einige für mich wichtige Erkenntnisse habe ich vor Jahren aus Julia Camerons Workshopbuch „Der Weg des Künstlers“ (achtung, streckenweise spirituell) herausgezogen (ja, das generische Maskulin des Buchtitels ist albern, aber der Inhalt ist gut. Die Autorin kann nichts für die komischen Sprachen, in die sie übersetzt wird):
1) Ein Buch zu lesen darüber, wie etwas geht, ist viel leichter, als die Sache selbst zu üben ^^
2) Wenn ich etwas unbedingt gleich sehr gut machen will, wird mich das wahrscheinlich daran hindern, dass ich es überhaupt mache. Weil ein überzogener Anspruch Leistungdruck erzeugt, und dieser zur Blockade führt. Die Reaktion ist dann, es aus Angst davor, sich zu blamieren, weiterhin nicht zu machen. Dadurch werde ich natürlich immer schlecht darin bleiben, einfach weil mir die Übung fehlt. Menschen, die schlecht anfangen, werden viel bessere Ergebnisse haben als ich, weil sie inzwischen üben und Routine bekommen, während ich noch seit Jahren überlege, wie ich einen möglichst perfekten gewitzten Anfang dahinzimmern könnte. Eventuell werde ich immer in dieser Hemmung steckenbleiben und dann im Alter verbittert von meinem großen Potenzial faseln, was aber alle nur die Augen verdrehen lässt. Zu recht, wenn ich so eitel und selbstzerstörerisch war, dass ich etwas, das mir eigentlich wichtig war, lieber gar nicht getan habe, als es – wie alle anderen Menschen auch – zu üben. Potenziell Schlechtes und Peinliches hervorzubringen ist nunmal eine Voraussetzung dafür, überhaupt etwas hervorzubringen.
Natürlich drückt Julia Cameron in ihrem Workshopbuch sich zugewandter aus als ich gerade. Die Moral von der Geschicht ist im Grunde: Es ist zielführend und wichtig, Sachen peinlich, unzulänglich, nicht ausgegoren und schlecht zu machen – weil peinliche erste Schritte nun mal am Anfang von jedem Gut-Darin-Werden stehen. So wie das erste furchterregende Kratzen mit dem Geigenbogen notwendig ist, um eines Tages anrührend engelsgleich ein Violinkonzert zu geben (oder einen Kalender herauszubringen, auf dem man mit nacktem Oberkörper im Wasser stehend glaubwürdig eine Stradivari in der Hand hält, aber David Garrett soll hier im Folgenden außen vor gelassen werden. Ich finde gut, dass er den Zwang zum Marketing des eigenen Körpers auch für männliche klassische Musiker geöffnet hat). Das Gute am Schreiben: die peinlichen Anfänge muss kein Mensch zu Gesicht bekommen. Es gibt also eigentlich gar nichts zu befürchten.
Aber in einem Monat?
Von der NaNoWriMo-Schreiberei wird nicht erwartet, dass das Buch in einem Monat fertig ist. Zu einem fertigen Roman gehört freilich viel mehr, als mal die Geschichte aufzuschreiben. Danach kommt die große böse Phase des kritischen Editierens. Vieles wird herausgeworfen und überprüft, es muss Feedback eingeholt werden, ärgerlich und peinlich beäugt, erleuchtet und geopfert. Manche Erzählungen müssen zwölfmal umgeschrieben werden, bis sie taugen. Je weniger Routine bereits vorhanden ist, desto wichtiger, verwirrender, länger und schmerzhafter wird dieser Editierprozess sich gestalten. Er kann zwischen einem halben Jahr und fünf Jahren dauern (ok, bei Stephen King reicht wahrscheinlich ein Nachmittag), weil es Zeit zum Nachdenken, Fermentieren, Lernen und erst-später-Verstehen braucht. Es kann sein, dass hinterher durch neue Erkenntnisse und die getane Übung die ganze Geschichte sich ändert oder dass ihr Fokus sich ändert oder der Ort oder das Jahrhundert, in dem die Handlung stattfindet. Das sind furchteinflößende Aussichten, mit denen sich erst nach dem NaNoWriMo beschäftigt wird, und es ist beim Schreiben erstmal beruhigend, dass jetzt noch nicht der Moment dafür ist. Während des Schreibemonats ist gar nicht genügend Zeit, sich mit dem Editieren zu beschäftigen. Das kommt hinterher.
Mit dieser Gewissheit „erkaufe“ ich mir sozusagen vier Wochen unbeschwertes Schreiben. Währenddessen darf der Text von gestern nicht nochmal gelesen werden. Anschlüsse dürfen falsch oder bizarr sein. Dialoge dürfen husten und holpern. Nichts muss bereits absolut Sinn machen oder gar elegant sein.
Manche verwenden den Schreibemonat als geistig-assoziativ-literarisches morgentliches aufs Klo gehen und achten bewusst überhaupt nicht darauf, ob ihre Geschichte in irgendeiner Weise zusammenhängend ist. Das ist bestimmt auch sehr lustig und befreiend, und wer weiß, ob sich darin am Ende nicht vielleicht der Funke für ein schickes Gedicht oder eine experimentell-extravagante Kurzgeschichte zeigt. Ich plane aber, und das ist auch der Grund, aus dem ich das jetzt schon poste, dass ich mir rechtzeitig zuvor eine recht genaue Geschichte überlege und ausmale, und sie dann im November aufschreibe. Das meiste von den Figuren und der Handlung will ich dann schon wissen, damit ich nicht jeden Tag zwei Stunden mit Grübeln verbringe. Ich habe ja nur vier Wochen zum Schreiben des ersten Entwurfs. Vielleicht bringt mich das um etwas Spontanität, aber ich hoffe, ich getraue mich trotzdem, den geplanten Lauf meiner Geschichte zu verlassen, wenn es sich beim Schreiben ergibt oder aufdrängt. Das werde ich dann sehen.
Vor allem will ich mich im November nicht mit fehlendem Handwerkszeug herumärgern, sondern das Nötigste vorher erledigen: jetzt.
Natürlich kann ich grundsätzlich Sätze schreiben, und habe auch schon eine ordentliche Monografie veröffentlicht, aber das war keine Erzählung sondern ein Sachbuch. Eine Geschichte gut zu erzählen, braucht ganz andere Übung, Voraussetzungen und Können. Ich kann leidlich Witze erzählen und absurde Dialogszenen für Film und Bühne schreiben. Aber dass ich wüsste, wie ich 300 Seiten lang eine zusammenhängend spannende, schöne oder auch nur Sinn machende Geschichte ausbreiten und erzählen kann, möchte ich nicht gerade behaupten. Ich habe mich davor gedrückt, es zu lernen. Vor allem hatte ich die ganze Zeit Angst, weil Handlungsorte oder -Landschaften nicht nur beschrieben werden wollen, sondern eine Stimmung vermitteln müssen, und ich darin keine Erfahrung habe. Mit Beschreibungen habe ich es nicht so. Das hätte ich natürlich konsequent üben und lernen sollen können, was ich aber tunlichst vermieden habe. Nützt alles nichts – wird jetzt nachgeholt.
End of heißer Brei
Dies ist im Grunde ein Aufforderungs-, ja, Überredungsversuchspost, beim NaNoWriMo mitzumachen und die Reise mit mir und den ganzen anderen Waghalsigen gemeinsam anzutreten. Ich möchte Euch motivieren, die Herausforderung anzunehmen und ebenfalls daran zu glauben, dass Ihr eine Erzählung schreiben könnt. Es soll in dem einen Monat kein fertiges Monument herauskommen, sondern eine Schreibroutine und die Knospe einer Geschichte. Eine Anprobe. Wie es ist, das eigene Schreiben, die Geschichte im eigenen Kopf zu formen, und das ganze mal eine Zeit lang so ernst zu nehmen, dass das das Wichtigste ist jeden Tag vor oder nach dem Frühstück, in der Mittagspause und vor dem zu Bett gehen. Wir werden nie erfahren, was für tolle Dinge unsere Geschichte(n) vielleicht für andere tun können, wenn wir uns nicht erlauben, sie aufzuschreiben.
Ich habe vor, über meine Vorbereitung, das Timing (argh!), Schwierigkeiten und Lernerfahrungen bis zum NaNoWriMo hier im Blog zu berichten. Im Schreibenovember selbst will ich auch weiterhin Blogartikel beisteuern, mitten aus der heißen Phase des absolut verunsicherten Storytelling ^^ und natürlich Tweets versenden @noiseaux , bin aber noch nicht ganz sicher, ob ich das dann gar so ausführlich hinbekommen werde. Das Schreiben der Geschichte wird vorgehen. Reisen, Ausland, Verpflichtungen, usw. No Alibi. Schreiben will ich trotzdem jeden Tag. Wer am Wochenende Pflanzen gegen Zombies spielen kann, kann auch 90 Minuten am Tag auf dem Papier spinnen. Meine Hürde ist sicher nicht zeitlich/organisatorisch, sondern -wenn überhaupt real existent- der Furcht und Komfortzone geschuldet. Hier im Blog will ich meine Ressourcen, Inspirationsquellen und Motivationskicks teilen.
So. Jetzt Ihr. Lasst mich und die-Welt™ wissen, ob Ihr auch lust habt, beim NaNoWriMo mitzumachen, und wenn nicht, was Euch abhält. Oder vielleicht habt Ihr es sogar schon mal gebracht, dann will ich dringen erfahren, wie Ihr Euch vorbereitet und motiviert habt oder erfolgreich verdrängt und hinausgeschoben. In welchem Umfeld und Zustand schreibt Ihr am liebsten? Worauf habt Ihr die ganze Zeit gewartet bevor Ihr es endlich angepackt habt, welche Ängste und Erleuchtungen treiben Euch um?
(Ich werde eine Kommentarmoderation machen bezüglich diskriminierender und übertrieben demotivierender Inhalte, es soll safe sein und in erster Linie um’s Erzählen, Motivieren und Teilen gehen, nicht um Argumente, Sabotage oder Debatten.)
Warum unbedingt jetzt ?
Weil ich mir seit vierzig Jahren wünsche, wenigstens Fragmente meiner Erfahrungswelt(en) in Erzählungsliteratur wiedergespiegelt zu sehen, und das bestimmt noch viel mehr Menschen so geht. Je mehr Leute schreiben, desto größer die Chance, dass wir irgendwann alle ganz leicht auf Geschichten und Bücher stoßen können, die uns meinen. Je mehr Menschen schreiben, desto diverser, richtiger, interessanter wird unsere Literatur. Sie kann es gebrauchen. Jetzt.
PS: Selbstgewählte Vorhaben sind so schön undogmatisch. Wenn ein Roman zu viel/uninteressant ist – wie wäre es damit, den Schwung für ein Kinderbuch zu nutzen?
Ein paar Ressourcen über den offiziellen NaNoWriMo
http://nanowrimo.org/faq Es kann sich dort registriert werden, dann gibt es einen Newsletter mit Tipps
Offizielles deutsches NaNoWriMo Forum (nichts für mich, aber natürlich soll es euch nicht vorenthalten werden)
Vorbereitung und viele Infos, alles auf englisch: http://nanowrimo.org/nano-prep
NaNoWriMo-FAQ auf Wikihow: http://www.wikihow.com/Participate-in-NaNoWriMo
„How to write what you don’t know“ , ein sehr guter Artikel.
Why We Need to Build More Diverse Worlds in Fiction — guter Artikel über das Politische im Ausdenken. Kam gestern im Newsletter an.
Höchstoffizielles Selbst-Commitment-pdf zum Ausfüllen und an die Wand hängen/posten vom NaNoWriMo Gründer und Autor Chris Baty
Weitere Posts über das Schreiben, die ich mir vorgenommen habe (kein Anspruch auf Vollständigkeit/Erfüllung ^^):
Meine Top 1-3 Bücher über das Schreiben
Warum ich den NaNoWriMo umbenenne
NaNoWriMo timing-Ideen: jeden Tag mindestens 1500 Zeichen Wörter schreiben, wie mache ich das nur?
Vorbereitungsphase: Checklisten und Überlegungen zum Storygerüst
Entitlement, Rosa Elefanten und deutsche Literaturratgeber
Warum literarische Vielfalt überlebenswichtig ist
Die Romanschreibesoftware, für die ich brenne
Indie Veröffentlichung: ohne Verlag veröffentlichen?
In Schland bei einem Verlag veröffentlichen
Und auch Gast-Posts sind nicht ausgeschlossen.