In den letzten Wochen haben mich vermehrt junge Schwarze politisch Aktive und solche of Color auf dasselbe Thema angesprochen oder -gemailt: Sie werden in den weißen linken Gruppen, die sich als „antifa“ oder „antirassistisch“ verstehen, nicht ernst genommen. Aber lest selbst. Ich stelle mit der Erlaubnis der Person, die mir schrieb, auszugsweise die Mail und meine Antwort online.
„(…)
Ich bin aktiv in einem großen überparteilichen Bündnis gegen Rassismus und Faschismus in [mittelgroßer Ort], in dem ich als Schwarze (oder generell nicht weiße Person) leider sehr alleine da stehe. Ich versuche immer wieder, Sensibilität für rassistische Begriffe und Verhaltensweisen zu wecken, werde aber vom Großteil der Mitglieder leider ignoriert, da bisher niemand sie wirklich mit Alltagsrassismus und [solchen] Themen konfrontiert hat. (…)“
Antwort:
(…) Deine Situation kommt mir leider bekannt vor: das Umfeld möchte sich als „antirassistisch“ verstehen, aber nichts dafür tun. (…)Viele sind momentan in der Situation, die du beschreibst, und Frederick Douglass hat diese Situation schon vor 150 Jahren (!!!) beschrieben. Ich halte sie für eine besonders geschickte rassistische Falle.
Vielleicht kann dieses Video dir helfen, ein paar Diskussionen abzukürzen:
https://www.youtube.com/watch?v=MbdxeFcQtaU
[Das Video ist: TEDxHampshireCollege – Jay Smooth – How I Learned to Stop Worrying and Love Discussing Race]
Der (evtl etwas unglückliche) Titel des Videos soll aber nicht heißen, dass ich empfehle, dass du dauernd freiwillig Diskussionen führst, im Gegenteil. Ich finde es wichtig, auf die eigenen Energien zu achten. Oft reiben gerade engagierte politische Schwarze Menschen sich auf, indem sie nicht nur für institutionellen Rassismusabbau kämpfen (was an sich schon schwer genug ist), sondern auch noch in ihren „eigenen“ weißen linken Gruppen kämpfen müssen, die sich für „antirassistisch“ halten, aber zu feige sind, dafür bei sich selbst anzufangen. Das ist eine besonders harte Situation, weil die Tatsache, dass die Leute ein „Antira“-T-Shirt tragen oder sich als solches verstehen, oft wie ein Schild von ihnen verwendet wird dafür, sich über Rassismus nichts sagen zu lassen und sich nicht zu hinterfragen.
In einer Zeit von Internet und Taschenbuch ist das Nichtwissen über Rassismus selbstgewählt.
Dieses Phänomen von pseudo-Antirassist_innen ist schon ein Stereotyp. Über sie gibt es unendlich viele Tweets und Blogeinträge. Auch darüber, dass sie PoC Aufklärung gratis abverlangen.
„Black Activist Burnout“ ist sehr real und tritt häufig ein, wenn Menschen in belastenden Situationen ohne zufriedenstellende Lösungsaussicht – wie zum Beispiel die Situation, die du beschreibst – zu lange verbleiben. Dazu beitragen kann auch ein übermenschliches Verantwortungsgefühl, wir hätten die ignoranten Leute fortzubilden und das sei irgendwie in unserem Interesse. In einer Vorlesung ((…)vor ein paar Wochen) habe ich es so formuliert:
Das Tabu ist nicht, dass Menschen of Color für Menschenrechte kämpfen.
Tabu ist es, wenn wir uns zu weigern, diesen Kampf bis zur Selbstaufgabe und Selbstzerstörung zu führen.
und
Als natürlicher Ort der unterdrückten Subjekte wird der Kampf gegen Unterdrückung wahrgenommen.
Mein Rat ist, dass du sehr gut darauf achtest, wie weit dir die Tätigkeit und Kommunikation mit welcher Gruppe jeweils gut tut, und dass du dir erlaubst, dich entsprechend zu beteiligen oder nicht. Macht ein Plenum ständig Bauchschmerzen? Das wird Gründe haben. Du musst sie nicht erklären. Du musst auch nicht erklären, warum du nicht mehr hin gehst.
Es kann auch erleichtern, mal Pause zu machen und das Große Ganze zu betrachten. Wenn du, wie du schreibst, sehr alleine da stehst, wo sind die anderen Schwarzen Leute? Wäre es vielleicht erwägenswert, testhalber Energie dahin zu investieren, gemeinsam mit ihnen etwas zu starten, zum Beispiel um eine Schwarze politische Haltung zur „Antifa“ (ohne Schwarze Mitglieder) vor Ort zu formulieren, oder zum Empowerment sich zu treffen und die seelische Gesundheit zu fördern?
Den Kampf gegen Rassismus nur zu verstehen als Aktivismus, der sich an weißen Individuen, Wissenslücken und Verfehlungen aufreibt, ist eigentlich an sich auch schon eine rassistische Mechanik. Denn Rassismus ist in erster Linie eine Belastung und Bedrohung, daher ist der der wichtigste Teil des Kampfes gegen Rassismus: das Wohlergehen der Menschen zu fördern, die durch ihn belastet werden. Sprich: Empowerment. Und das meint dein Wohlergehen natürlich mit, bzw hauptsächlich.
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Randnotizen (die ich nicht gemailt hatte, weil sie mir erst hinterher eingefallen sind):
Ich habe activist burnout selbst erlebt. Das ist schon eine Weile her, es war in den Jahren um 2005-2006 herum. Ich hatte jahrelang 20-30 Stunden jede Woche ehrenamtlich für den Braunen Mob gearbeitet, publiziert, gestritten und gelitten, und nicht wahrhaben wollen, wieviel Federn ich dabei gelassen habe. Das war in Zeiten, in denen wir Kommentarmoderation noch hart verteidigen mussten, Twitter nicht existierte und Schwarze Personen für Antirassismusaufklärung nicht nur kein Geld sondern auch noch einen Tritt in den Hintern bekamen (weiße Personen hielten auch damals schon „blue eyed“ workshops für vierstellige Honorare ab).
Dass sich daran viel geändert hat, haben wir denen zu verdanken, die vor uns die Grundlagen geschafft haben, für manche Dinge überhaupt erst über Vokabular zu verfügen. Insbesondere waren das ADEFRA sowie die Herausgeber_innen und Autor_innen von „Re/Visionen“ sowie Fatima El Tayeb mit Schwarze Deutsche. Der Diskurs um Rasse und nationale Identität 1890 – 1933 und viele weitere, deren Aktivismus ggf wenig mainstream-öffentlich sichtbar aber keinesfalls weniger maßgeblich war.
Zurück zum Burnout: die aktivistische Arbeit hatte mich maximal ausgelaugt. Faktoren waren der ganze Hass, der mir dauernd entgegen schlug, die Doppelbelastung und die Tatsache, dass politische Arbeit nun mal sehr oft keine unmittelbar erkennbaren Früchte trägt (was keinerlei Rückschlüsse auf den Wert oder die Sinnhaftigkeit der Arbeit zulässt, aber dennoch frustrieren kann, weil es eben kaum „Erfolgserlebnisse“ oder überhaupt merkbare Auswirkungen gibt). Ich hatte dann das Glück, einen besonders guten Kurplatz besonders weit weg von Deutschland zu bekommen (Burnout-Therapien in Schland kommen aus naheliegenden und weiteren Gründen nicht infrage) und das in dem Moment auch bezahlen zu können. Auf dieser Kur habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Möglichkeiten kennengelernt, Trauma und Stress selbst zu regeln. Seither beschäftige mich eingehend damit und habe mich inzwischen auch in Indien ausbilden lassen. Dort weiß man schon seit tausenden Jahren wie das geht; meine Indischen Lehrer_innen rollten nur mit den Augen über den planlos-nervösen West-Lifestyle und seine Gesamtkaputtheit. Mein Ziel mit der Ausbildung war, dass ich an Freund_innen und Communities weitergeben kann und darf, wie das Nervenkostüm in ausgeglichenen Zustand zurückgeführt und dort gehalten werden kann, und zwar „kulturell-autorisiert“ sozusagen.
Die Einkehr und Übung ist aber eben nur eine Komponente und kann nicht viel ausrichten, wenn wir das Getriebe der inneren Belastung währenddessen hochtourig weiterdrehen [/lassen]. Auch, weil zusätzliche Aufgaben per se einfach Stress bedeuten. Selbst wenn diese Aufgaben „Atemübung“ und „Konzentrationsübung“ heißen. Das ist auch alles gefährlich anschlussfähig zu weiterem Selbstoptimierungsdruck. Und Aktivismus bis zur Kur oder Therapie kann sowieso keine Lösung sein. Deswegen ist mein Rat:
- zuerst die belastenden Sachen identifizieren und revisionieren (lies: wenn möglich stoppen)
- erst dann -wenn überhaupt mal die Luft und Energie dafür da ist- aus der Ruhe heraus überlegen, was denn alles sonst noch so möglich wäre und sich evtl besser anfühlen könnte. Tipp: Ruhe ist nicht ein freier Tag, sondern mindestens 10 Tage ohne social media und aktivistische Handlungs-Prompts.
- und bloß keinen Schuldgefühlen /schlechtem Gewissen dabei Mitsprache einräumen. Wer absolut zerfranst ist, kann andere nicht empowern. Daher, wenn schon unbedingt gesellschaftliche Verantwortung, dann in erster Linie die Verantwortung, sich nicht kaputt machen zu lassen. Das allein ist ein powervoller Akt des Widerstands. Das eigene Wohlergehen zu priorisieren, ist für Schwarze Frauen und Schwarze Genderqueere ein hochpolitischer Akt.
“Caring for myself is not self-indulgence, it is self-preservation, and that is an act of political warfare.” -Audre Lorde
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